"Willst du Tieren helfen - musst du auch ihren Menschen helfen."
Cora Bailey, Gründerin CLAW
CLAW
Von Anfang an hautnah dran
Text: Simone Niederhäuser
In der Zeit vor Südafrikas ersten demokratischen Wahlen, inmitten der Apartheid und eines brutalen Bürgerkriegs, beginnt Cora Bailey sich dem Wohlergehen und der medizinischen Grundversorgung der Tiere in den Townships von Johannesburg zu widmen. Nach den Massakern, zu denen es (gerade in den Townships) während dieser konfliktbeladenen Zeit regelmässig kommt, durchkämmt Cora die Kriegsschauplätze nach zurückgelassenen, verletzten und verhungernden Tieren.
Tiermedizinische Hilfe in den Townships
Mit ihrer Organisation CLAW (Community Led Animal Welfare) bietet sie seit nun 20 Jahren einen tiermedizinischen Service für die verarmten Communities am Rande der Grossstadt an. In der Klinik in Durban Deep werden nicht nur kranke Tiere versorgt, sondern dort finden auch heimatlose Hunde und Katzen ein vorübergehendes Zuhause. CLAW betreibt zudem eine mobile Tierklinik für die Menschen, die keinen Transport zum Tierarzt vermögen. Sie kümmert sich auch um die Vermittlung von gesunden Tieren. Lange Schlangen von Menschen warten am Strassenrand, damit ihre pelzigen Freunde untersucht und geimpft werden. Andere laufen kilometerlange Strecken mit ihrem kranken Tier auf dem Arm oder in einer Schubkarre, um in der Klinik von CLAW Hilfe zu suchen.
Die Kehrseite der Brutalität und des Leidens in dieser unwirtlichen Gegend ist die enorme Liebe, die auch die ärmsten Menschen ihren Haustieren entgegenbringen.
CLAW als Anlaufstelle für Menschen
Neben dem Wohlergehen der Tiere organisiert CLAW Anlässe für Kinder, Verpflegung und Spielgelegenheiten am Samstag, verteilt saubere Schuhe, klärt junge Mütter über Hygienemassnahmen auf, unterstützt die Communities bei Problemen wie Mangel an sauberem Wasser und ist oft die einzige Anlaufstelle für Vergewaltigungsopfer. Es vergeht kein Tag, ohne dass Cora gerufen wird, um zu behandeln, vermitteln, schlichten, trösten …
Armut betrifft alle Wesen
Tiere leiden ebenso unter Armut wie ihre Besitzer. Mangelernährung und Vernachlässigung lassen den Körper anfälliger werden für Krankheiten. Der Infektionsdruck viraler Erkrankungen ist hoch aufgrund der zahlreichen Welpen, die oft auf engem Raum leben, wo auch Parasiten ein leichtes Spiel haben. CLAW bietet nicht nur die dringend benötigte tierärztliche Grundversorgung für Haustiere an, Cora Bailey erklärt den Menschen auch unermüdlich und liebevoll, wie sie ihre Tiere pflegen und ernähren können. Keine einfache Aufgabe in einer der ärmsten Bevölkerungsgruppen der Welt, in der viele Eltern nicht wissen, womit sie ihre Kinder in den kommenden Tagen ernähren können.
Doch mehr Mühe als die ständige Präsenz und die Versorgung schwerkranker Tiere bereitet Cora die Sorge um diejenigen, die noch da draussen sind und vielleicht nicht gefunden werden: „Es gibt Hunderte Orte, die nicht erreicht werden können. Das Schlimmste ist, wenn du innehältst und zu überlegen beginnst, wie viele Dinge es zu tun gäbe.“
Ich persönlich erlebe CLAW als kleine Oase der Freundlichkeit und Nächstenliebe inmitten einer Wüste aus Armut und Zukunftslosigkeit.
Ein Tag bei CLAW
Text: Simone Niederhäuser
Das erste Mal, als ich Cora sehe, hält sie in der einen Hand ein verschmutztes Smartphone-Ladekabel – der verwahrloste, abgemagerte und verletzte Hund, den sie am Strassenrand gefunden hatte, musste sich im Auto ununterbrochen übergeben – und mit der anderen Hand deutet sie einem Jugendlichen, dass er kurz bei ihrem Auto warten solle, sie würde gleich zurückkommen. Sie dreht sich zu mir um und empfängt mich mit dem liebenswürdigsten Lächeln, das ich mir vorstellen kann. „I’m so glad you’re here.“
Ein gewöhnlicher Einsatz
Cora Bailey ist eine zarte, blonde Frau in ihren Mittsechzigern. Ursprünglich in Holland aufgewachsen, lebt sie seit 11-jährig in Südafrika und gründete vor beinahe 20 Jahren die Organisation CLAW. Nachdem das Ladekabel gereinigt (fliessendes Wasser gibt es übrigens nicht) und der Hund mit einer Infusion versorgt ist, macht sich Cora mit dem Jugendlichen (und mir) auf den Weg zu seiner Familie.
Seine Mutter wurde vom Hund nebenan gebissen, es droht ein Nachbarschaftsstreit auszubrechen (und diese enden in der Gegend nicht allzu selten in einer Messerstecherei).
In einem winzigen Haus, umgeben von einer Mauer und abgesperrt durch ein hohes Metallgitter, wohnt eine 6-köpfige Familie. Auf dem geteerten Vorplatz innerhalb der Umzäunung steht eine noch winzigere Hütte, in der ebenfalls eine Familie wohnt. Als wir ankommen, zerlegt ein Mann gerade einen Kuhkopf neben den spielenden Kindern. Vier grosse Hunde befinden sich auf dem Areal, davon eine Hündin mit fünf Welpen, angebunden an einer Kette. Die Menschen auf der anderen Seite des Metallgitters reagieren skeptisch, als wir uns dem Haus nähern, zu oft wurde ihnen schon weggenommen, was ihnen gehörte. Die Hunde dienen zum Schutz vor Einbrechern, die kleine Hütte auf dem Vorplatz vermieten sie, um ihre eigene Miete bezahlen zu können. Mit freundlichen Worten sucht Cora das Gespräch mit dem Hausbesitzer, versucht sich ein Bild zu machen, wie es zum Beissvorfall kommen konnte, erklärt geduldig, aber mit eindeutigen Worten, dass ein Hund sein Leben nicht an einer Kette verbringen soll und dass die Tiere Schatten und genügend Wasser brauchen. Sie erkundigt sich, ob die Wunde der verletzten Person medizinisch versorgt wurde, und ermahnt im selben Atemzug eine junge Frau, die auf der Strasse nebenan Hühner zum Verkauf anbietet, dass ihre Tiere dringend Schutz vor der glühenden Sonne und eine Trinkgelegenheit bräuchten.
Die Klinik - allerlei Hilfe mit einfachsten Mitteln
Zurück in der Klinik kümmert sich Cora um die tierischen Patienten. Sie untersucht, nimmt Blutproben, verabreicht Medikamente, reinigt Wunden, impft Jungtiere und erklärt immer und immer wieder, wie die Tiere mit einfachsten Mitteln gepflegt und mit wenig Geld trotzdem artgerecht ernährt werden können.
Die Resten vom Mieliepap (ähnlich wie Maispolenta) und Hühnerknochen sind oft das Einzige, was die Hunde im Futternapf vorfinden – das Erstere eine reine Kohlenhydratquelle, die Letzteren bergen aufgrund der splitternden Konsistenz das Risiko, die Speiseröhre zu verletzen. Und trotzdem ist dies oft alles, was ein typischer Haushalt in den Communities zu bieten hat. Die Krankheitsbilder wiederholen sich: Intoxikationen (Rattengift), Blutarmut durch Zeckenbissfieber (Babesiose), dehydrierte Welpen mit vermutlich viralen Magen-Darm-Problemen (Parvovirose), grossflächige Hautwunden (Hundekämpfe, Autounfälle).
Immer wieder bringen Kinder ihre Hunde in die Klinik. Oft hat das Kind keine Schuhe an den Füssen und der Hund nur eine Schnur um den Hals.
Aus einer grossen Tasche alter Leinen und Halsbänder sucht Cora ein hübsches heraus, überrascht die Kinder ab und zu mit einer kleinen Süssigkeit und - mit etwas Glück - findet sich sogar noch ein passendes Paar Schuhe unter den gespendeten Kleidern. Stolz und überglücklich ziehen die Kleinen danach wieder davon. Hinaus in eine unwirtliche Gegend, die nicht für eine Kinderseele gemeint sein kann.
Versorgung besorgen oder: Alltägliches
Derweilen habe ich mich eingerichtet im hintersten und kleinsten Raum der Klinik.
Die Ausrüstung ist marginal, aber zusammen mit dem chirurgischen Material, das ich selber im Koffer mitgebracht habe, reicht es aus, um Kastrationen und andere kleinere chirurgische Eingriffe sachgerecht durchzuführen.
Am Mittag geht eines der Narkosemittel zu Ende. Offenbar ein Lieferengpass in der gesamten Stadt. Ohne dieses Medikament gibt es keine Möglichkeit, weitere Operationen durchzuführen. Cora ruft ein paar befreundete Tierärzte an. Ja, vielleicht könnten sie eine Flasche entbehren, heisst es zunächst aus einer Praxis in Florida (einem Quartier, das ebenfalls am Westrand von Johannesburg liegt). Also fahren wir gemeinsam los. Bei unserer Ankunft wird uns jedoch mitgeteilt, dass das Narkosemittel beinahe aufgebraucht sei und sie gerade selber noch Operationen am Laufen hätten. Eine andere Bekannte von Cora in der Nähe von Alexandra (einem Township am nordöstlichen Rand von Johannesburg) will uns aushelfen. Eine gute Dreiviertelstunde Autofahrt und einen U-Turn später (unglücklicherweise ist dann auch noch die Batterie des Navigationsgerätes zu Ende) händigt uns ein freundlicher Mann an einem Metalltor zwei Flaschen des benötigten Medikamentes aus. Unterwegs haben wir Zeit für Gespräche. Cora kennt viele Lebensgeschichten, hat die Apartheid hautnah miterlebt. Sie ist vertraut mit den Menschen aus den Townships.
Es berührt mich, mit wie viel Respekt und Einfühlungsvermögen sie jedes einzelne Individuum - Mensch und Tier - in diesem nicht enden wollenden Strom von täglichem Elend behandelt.
Sich Zeit nimmt, um Probleme anzuhören (auch wenn sie lange nicht alle lösbar sind), ein bisschen Freundlichkeit und Linderung schenkt, wo immer sie hinkommt.
Die kleinen Freuden
Nach 2,5 Stunden sind wir schliesslich zurück. Die Kinder in den engen, staubigen Strassen der Hüttendörfer winken lachend und rufen „Helloooo Cora“, als sie das Auto mit der CLAW-Aufschrift sehen. Ich operiere weiter und Cora macht sich nochmals auf den Weg zu den Hunden von heute Morgen. Der Besitzer zeigt sich einsichtig und überlässt ihr zwei der grossen Hunde, um ihnen ein neues Zuhause zu suchen. Er selber will seinen verbleibenden Hunden mehr Platz und Pflege zukommen lassen. Und die Hühner auf der Strasse haben einen Sonnenschirm aus Pappe erhalten.
Durban Deep
Die vergessene Goldgräberstadt
Text: Simone Niederhäuser
Durban Deep - in Fachkreisen auch liebevoll „The Grand Old Lady genannt“ - war eine der profitabelsten Goldminen der Welt. 1896 gegründet, sollen die tiefen Tunnelgänge unter der Erde von Johannesburg Gold im Wert von über 20 Billionen USD zutage gefördert haben. Heute wird das ehemalige Goldgräberviertel geplagt von Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Hunger, Krankheiten und Wassermangel. Offiziell stillgelegt wurde die Goldmine vor beinahe 20 Jahren. Ein wachsender Wettbewerb um die 12 Millionen Unzen Gold, die in dieser Gegend noch vermutet werden, hat seither einen blutigen Bodenkrieg entfacht.
Wenn Hoffnung übrig bleibt
Auf den ersten Blick wirkt Durban Deep wie ein friedlicher, verschlafener Teil von Roodepoort am Westrand von Johannesburg. Versteckt zwischen üppiger Vegetation liegen die zerbröckelnden Häuser der ehemaligen Bergleute. Doch diese verlassene Bergbaustadt birgt Schrecken und Schicksale, die mir bereits beim Versuch, sie in Worte zu fassen, einen kalten Schauer den Rücken hinunterkriechen lassen. Heutzutage ist Durban Deep das Zuhause von illegalen Immigranten aus Simbabwe, Mosambik und Malawi. Sie bemühen sich um das vermutete Restgold in den ausgestorbenen Minen und erhoffen sich das grosse Geld oder zumindest, den Lebensunterhalt ihrer Familien finanzieren zu können.
„Zama Zamas“ werden sie genannt, was in Zulu so viel bedeutet wie „eine Chance ergreifen“ oder „erneut versuchen“.
Es ist eine lebensgefährliche Arbeit. Manchmal bebt die Erde, Gesteinsbrocken lösen sich aus den unbefestigten Höhlengängen und führen nicht selten zu gebrochenen Knochen, amputierten Gliedmassen oder sogar zum Tod der Bergmänner. Doch noch schlimmer als der Schrecken der einstürzenden Tunnelgänge ist die Bedrohung, welche über der Erde lauert. Medizinische Hilfe gäbe es zwar in Johannesburg, doch bereits der Transport in ein Spital stellt ein unüberwindbares Hindernis dar. Weil sich die Menschen hier illegal aufhalten, fürchten sie sich davor, staatliche Institutionen um Hilfe zu bitten. Die Ambulanz bedient die Region um Durban Deep angesichts des Sicherheitsrisikos nicht mehr, immer wieder kommt es zu Schiessereien. Denn die rivalisierenden Zama Zama Gangs scheuen nicht davor zurück, den unter Tage Arbeitenden für einen Sack mit goldhaltigen Steinen eine Kugel in den Schädel zu jagen.
Sich selbst überlassen
Vor beinahe fünf Jahren wurde die Region sowohl vom fliessenden Wasser als auch vom städtischen Elektrizitätsnetz getrennt. Seither versinkt Durban Deep in einer Dunkelheit, die selbst vom Tageslicht kaum erhellt wird. Vergewaltigungen sind zum alltäglichen Delikt geworden. Hilfe vom öffentlichen Rechtssystem ist keine zu erwarten. Zu undurchsichtig ist die Menschenmenge der Sans-Papiers, zu gehäuft die Vorfälle. Berge von Abfall türmen sich entlang der Strassen und in den Quartieren auf. Die Ratten, die sich in den Müllhaufen explosionsartig vermehren, machen auf der Futtersuche nicht einmal mehr vor schlafenden Säuglingen Halt. Krankheiten verbreiten sich aufgrund der fehlenden Hygiene rasch, besonders unter Kindern und älteren Menschen.
Durban Deep ist eine vergessene Community, in welcher sich niemand dazu verpflichtet fühlt, das Gesetz durchzusetzen, und Kriminalität vom Staat nicht verfolgt wird.
Dies führt dazu, dass die verzweifelten Anwohner das Recht immer öfter selber in die Hand nehmen.
"Ich persönlich erlebe CLAW als kleine Oase der Freundlichkeit und Nächstenliebe inmitten einer Wüste aus Kriminalität und Zukunftslosigkeit."
Simone